A. D. 2053: Die Dampfer

oder: eine vergessene Leidenschaftdd_200

(Transskript eines Holos aus der Rubrik „Vor 40 Jahren“ in der Darknet Daily vom 19.12.2053, Autor ungenannt)

Guten Morgen liebe Zuschauer,

ich möchte heute an ein fast vergessenes Kapitel in der Geschichte der Verbote und Regelungen erinnern. An ein kurzes Kapitel, welches aber dennoch exemplarisch ist für die Entwicklung und Regelungswut der Politik, die in den letzten Jahrzehnten erschreckende Ausmaße angenommen hat.

Es geht heute um die E-Dampfer, eine aus heutiger Sicht nicht sehr große, dennoch erstaunlich wehrhafte und kreative Gemeinschaft, die letztendlich jedoch durch äußere und innere Kräfte zersetzt und zerstört wurde.

In der Mitte des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts wurde in China die sogenannte „Elektronische Zigarette“ erfunden und auch dem Markt in Europa und den USA zugeführt. Es handelte sich hier um ein akkubetriebenes Gerät, das anfangs versuchte, mittels Vernebelung von Nikotinflüssigkeit, die Tabakzigarette möglichst genau zu kopieren. Letzteres äußerte sich anfangs auch in der Optik der Gerätschaften.

In den folgenden Jahren setzten sich im Wesentlichen zwei Erkenntnisse durch: erstens dass man durch Ersatz des Tabaks durch die E-Zigarette viele Gesundheitsprobleme stark reduzierte bzw. gar nicht erst entstehen ließ – und zweitens dass auch die Geschmäcker – durch die eingesetzten Lebensmittelaromen – sehr individuell dem eigenen Vorlieben angepasst werden konnten. Es entwickelte sich eine lebhafte und kreative Gemeinschaft – die „Dampfer-Community“, vorrangig im Web, da auch der Vertrieb überwiegend online stattfand.

Neben den industriell gefertigten Massenartikeln – die immer noch vorwiegend aus Fernost stammten aber technisch immer ausgefeilter und auch größer wurden – entwickelte sich auch eine Bastlerszene, die das E-Dampfen zu einem freizeitfüllenden Hobby machte.

Die Begeisterung über unbeschwertes E-Dampfen sowie die Anzahl der User erreichte ihren Höhepunkt etwa 2011. Es soll damals in Europa ca. 7 Millionen E-Dampfer gegeben haben, genaue bzw. nachprüfbare Zahlen gibt es aber nicht mehr.

Es war alles in Ordnung und so hätte es in einer freien Welt, in der die Menschen selbst über ihr Schicksal bestimmen dürfen, auch bleiben können. Aber die Politik wollte das nicht, allen voran die damaligen „grünen“ Umwelt- und Gesundheitsfanatiker, die es mittels der moralisch-ethischen Volksgesundheitskeule und ihrem angeborenen Gutmenschentum schafften, auch die anderen politischen Ausrichtungen zu infizieren.

Unterstützt wurden sie dabei durch sogenannte unabhängige Institute und die Presse. Pharma- und Tabaklobbyisten bekamen die offizielle Gelegenheit als „Experten“ entscheidenden Einfluß auf die Parlamentsarbeit zu nehmen. Eine objektive Politik fand ebenso wenig statt wie eine neutrale Berichterstattung. Schlagworte wie: „das ist nicht erforscht“, „das ist ja schädlicher als eine Tabakzigarette“, „man weiß nicht, was drin ist“, „wir brauchen keine weiteren suchtauslösenden Mittel“, „Kinder könnten das verschlucken“ waren in den Medien an der Tagesordnung.

Die Argumente, allen voran dass jeder nicht gesunde Mensch dem Geldbeutel der Allgemeinheit schadet, waren für die breite, desinteressierte Masse so einleuchtend und unterstützenswert, dass die Politik mit Hilfe von Konzernen und Medien mit Leichtigkeit ihre Interessen durchsetzen konnte.

Alle Bemühungen der Dampfer, Einfluss auf die nationale und internationale Politik zu nehmen, gingen letztendlich fehl. Der Todesstoß war 2015 eine neue Tabakrichtlinie der EU (damals noch „European Union“), die unter Missachtung aller seriösen wissenschaftlichen Ausarbeitungen (sogar denen von EU-Wissenschaftlern) alle Liquids über 4mg/ml Nikotingehalt für den freien Verkauf verbot. Die offensichtlichste Auswirkung war, dass es keine neuen E-Dampfer mehr gab, weil keinem Raucher mit einem so geringen Nikotinlevel der Umstieg gelang. Auch vielen der „alten“ E-Dampfer war das zu wenig und so brachen erst die Nachfrage und dann das Angebot und der komplette Markt ein.

Beschleunigt wurde dieser Vorgang von anonymen, internen Hassattacken gegen bekannte Community-Mitglieder, die sich daraufhin zu großen Teilen erschrocken aus der Öffentlichkeit zurückzogen. Das war fatal, denn sie waren die Klammern, welche die Gemeinschaft der Dampfer bis dahin entscheidend stärkten und zusammenhielten.

In den USA hielten sich die Dampfer noch einige Jahre mehr schlecht als recht in Ihrem Kampf gegen die FDA, das änderte sich aber mit dem Eintritt der USA in die EU im Jahre 2021. Bekanntlich wurden die meisten „unwichtigen“ Regelungen übernommen, um die Beitrittsverhandlungen zu erleichtern. So war – von den meisten Menschen unbemerkt – auch der amerikanische Dampftraum mit einem Schlag ausgeträumt.

Selbst die meisten derjenigen, die sich rechtzeitig mit genügend Nikotinflüssigkeit für die nächsten Jahre eingedeckt hatten, verloren letztendlich den Spaß an der Sache und kehrten zu Tabakprodukten zurück wenn sie es nicht schafften, dem Nikotin komplett zu entsagen. Dies galt zumindest für diejenigen, die sich nicht jenseits der Legalität bewegen wollten.

Als Statistiken Jahre später belegten, dass die Zahl der Todesfälle durch Lungenkrebs wieder anstieg, führte das niemand auf den Untergang des E-Dampfens zurück. Eines der ewigen Geheimnisse bleibt, warum die weitaus gesundheitsschädlicheren Tabakzigaretten weiterhin erlaubt blieben.

Aus heutiger Sicht ist klar, dass die E-Dampfer zwar eines der ersten Opfer der EU waren, aber lange nicht das Letzte.

Die strikte Regelung der Zucker- und Fettanteile in Lebensmitteln, das praktische Verbot von Koffein und Alkohol sowie die „EU-Richtlinie zur Ausübung potenziell gefährlicher Sportarten“ und die „EU-Richtlinie zur obligatorischen Ausübung gesundheitsfördernder Betätigungen“ sprechen Bände.

Ebenso wie die Verbannung aller als eventuell gesundheitsgefährdend angesehen Genuss- und Lebensmittel in die offiziell „Selbstverantwortungsshops“, im Volksmund „Grüne Läden“ genannten kontrollierten Verteilzentren, wo besagte Produkte gegen Bezugscodes ausgegeben werden. Auch das Verbot von privaten Kraftfahrzeugen mit mehr als 30 KW und 750 kg Gewicht ist letztendlich auf diese Gedankengänge zurückzuführen. Vor 40 Jahren gab es motorisierte Zweiräder (!) mit über 150 KW!

So, Leute, das war’s für heute. Real Life ruft – ich muss zum Frühsport und dann mein Müsli essen. Wegen der Frühstückseier letzte Woche muss ich als Ausgleich belegen, dass ich ansonsten diesen Monat ausschliesslich gesundheitsfördernd lebe. Sonst droht mir ein Bußgeld und der Verlust von Versicherungsleistungen. Wie das halt heutzutage so ist.

Bis bald in der Darknet Daily, bleibt gesund!

(Verfasst im Februar 2013 – mir ist klar, dass einige Details nach heutigem Stand  -August 2013- nicht mehr ganz korrekt sind.)

 

Und die Menschen unter dem Himmel waren auch fast ganz gleich – überall auf der ganzen Welt, Hunderte oder Tausende von Millionen Menschen, die gleichfalls so waren. Menschen, bei denen einer nichts vom Leben des anderen wusste, die von Mauern des Hasses und Lüge getrennt gehalten wurden und doch fast gleich waren – Menschen, die nie denken gelernt hatten, die aber in ihren Herzen und Leibern und Muskeln jene Macht aufspeicherten, die eines Tages die Welt umstürzen würde.“ George Orwell (1903-1950)

Die wichtigsten «Manhattan-Projekte» der Zukunft werden umfangreiche, von der Regierung geförderte Untersuchungen darüber sein, was die Politiker und die daran teilnehmenden Wissenschaftler «das Problem des Glücklichseins» nennen werden, mit anderen Worten, wie man die Menschen dahin bringt, ihr Sklaventum zu lieben.“ Aldous Huxley (1894-1963)

 

4 Thoughts on “A. D. 2053: Die Dampfer

  1. Smoky46 on 30. Juni 2014 at 13:00 said:

    Ich bin begeistert !
    Weiter so. Der Autor hat reales nieder geschrieben. In ganz tollen Worten.
    Da kann ich zum Schluß nur sagen: Gott sei Dank habe ich die 70 bald erreicht und muß
    das alles nicht mehr miterleben ;-(

  2. Halli, hallo,
    sehr schön geschrieben :-)
    Ich mag mir das so aber nicht vorstellen. Nein will nicht, will nicht, wehre mich.
    Mein Ende würde viel lieber lauten: Und sie dampften glücklich bis an`s Ende ihrer Tage :-)

  3. Hallo Du ungenannter in der Zukunft,

    danke, dass Du an die eZigarette und an uns Dampfer erinnert hast.
    Mich würde noch interessieren, wieviel Prozent von Euch ohne Psychopharmaka zurecht kommen, um all den Gesundseins- und Bravseinsstress gesellschaftskonform aufzufangen.

    Katrin vom Dampf-Zuber.de hat Deinen Beitrag übrigens anlässlich des 2. #DampfDiDay in den Sozialen Netzen empfohlen. Denn er hat wirklich verdient, gelesen zu werden.

    Einen lieben Gruß
    Kurbelursel

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